"Wir sind die Letzten, die es noch verhindern können"

Interview mit Thomas Zeitler, Aktivist bei Extinction Rebellion

 

Thomas Zeitler ist Pfarrer für Kunst- und Kulturarbeit an St. Egidien in Nürnberg und Hochschulpfarrer in der Evangelischen Studierendengemeinde. Er ist Mitglied im AEE und war auch jahrelang Mitglied des Leitenden Teams. Derzeit engagiert er sich bei der Klimabewegung „Extinction Rebellion“ und beteiligt sich an Protestaktionen gegen die Klimakatastrophe. Die Fragen stellte Hans-Gerhard Koch.

 

Der „Letzten Generation“ (LG) wird eine Nähe zur RAF, also zum Terrorismus unterstellt. Darüber brauchen wir uns als AEE-Mitglieder nicht unterhalten. Aber der Vorwurf, dass da eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzwingt, wiegt für den AEE mit seiner demokratischen Tradition schon schwerer. Wie siehst du das?

Tatsächlich ist es aus taktischer Sicht problematisierbar, dass die LG mit sehr konkreten politischen Forderungen arbeitet wie dem 9 €-Ticket und dem Tempolimit, die sie durch ihre Aktionen „herbeizwingen“ wollen. Denn Politik darf sich aus gutem Grunde nicht erpressbar machen. Dass noch viel radikalere Einschnitte zum Umsteuern nötig sind, pfeift die Wissenschaft inzwischen von allen Dächern. Wir müssen daher besser überlegen, wie ein „Signal der Massen“ an Politik und Wirtschaft aussehen kann, dass wir bereit sind für die notwendigen Maßnahmen. Da kann ziviler Ungehorsam durchaus eine wichtige und zentrale Rolle spielen. Aber eben nicht als Erpressungsmittel einer überschaubar großen Gruppe. Das dürfte nicht funktionieren.

Extinction Rebellion

In unserer Kirche gibt es viel Sympathie für zivilen Ungehorsam angesichts der Klimakatastrophe, allerdings finden viele die Mittel der „Letzten Generation“ unangemessen oder kontraproduktiv – was entgegnest du denen?

Ich stehe als Aktivist bei der Klimabewegung „Extinction Rebellion“ klar hinter gewaltfreiem zivilen Ungehorsam als legitimem Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Da liegt nicht das Problem. Aber er muss so eingesetzt werden, dass er die gewünschte Wirkung erzielt. Gut ist, wenn die Aktionen Sympathisanten mobilisieren, die sagen: „Ich bewundere, was die sich trauen und an eigenen Nachteilen in Kauf nehmen, weil ihnen der Klimaschutz so brennend wichtig ist.“ Wenn der Aktivismus aber mehr spaltet und die Fronten verhärtet oder gar die Repressionsapparate stärkt, dann sollte man noch einmal neu überlegen, wie die eigenen Ziele am besten erreichbar sind. „Extinction Rebellion“ in Großbritannien hat sich deswegen dazu entschieden, mit klassischen „Störaktionen“ eine Pause  einzulegen und wieder mehr Energie in die Massenmobilisierung gegen die eigentlichen Verursacher der Probleme zu stecken. Denn der Mahnruf ist ja in den Medien angekommen. Jetzt muss der Druck auf die Politik erhöht werden.

 

Theologisch gesprochen: Leben wir wirklich in apokalyptischen Zeiten? Ist die „Letzte Generation“ nicht nur die, die als letzte etwas ändern kann, sondern auch die letzte überhaupt?

Ich persönlich verwende den Begriff „Apokalypse“ nicht für die Klimakatastrophe. Das ist mir viel zu religiös aufgeladen. Weder der Antichrist noch der Messias sind im Moment als Akteure der Endzeit auszumachen. Wir sind – ganz sachlich und nüchtern beschrieben – dabei, die ökologischen Lebensgrundlagen für die Menschheit und die gesamte Biosphäre zu zerstören. Wenn die vielzitierten Kipp-punkte erreicht werden – und manche sind es vielleicht schon – dann wird auf mittlere Sicht ein Katastrophenszenario an Landverlust, Extremwetter, Hunger, Migration und Verteilungskriegen auf uns zukommen, das wir uns nicht wirklich vorstellen wollen. Und ja: Es geht um unser radikales Umsteuern in den nächsten 10-20 Jahren. Von daher stimmt es, dass wir die Letzten sind, die diese Entwicklungen noch verhindern oder entscheidend abschwächen können.

Hast du eine Hoffnung für die Kinder, die jetzt geboren werden?

Die einzige Hoffnung ist, dass wir uns unsere Lage ungeschminkt eingestehen, sofort mit dem Zivilisationsumbau beginnen (und das wird einschneidender und unangenehmer sein, als etwas mehr Bio einzukaufen und Solarpanele auf Kirchendächer zu schrauben) und dazu ausreichend viele Menschen weltweit überzeugen und mobilisieren können. Realistisch ist das nicht. Aber wir haben keine Alternative dazu, es zu versuchen. Und ganz ehrlich: Ich bin froh, dass ich keine Kinder habe, vor denen ich Rechenschaft ablegen muss. Würden sie mich fragen: „Wie konntet ihr das nur so gegen die Wand fahren?“, so wäre das für mich schlimmer als das Jüngste Gericht.