Wer nimmt den Drachen an die Leine?

Der alte Ost-West-Konflikt, 1990 entschärft, lebt neu auf: Der Einmarsch in die Ukraine stellt die Friedensordnung Europas in Frage. Traurige Erkenntnis: Was die Friedensbewegung, gerade auch die christliche, seit Jahrzehnten erarbeitet hat, spielt im aktuellen Weltgeschehen so gut wie keine Rolle. (Unsere Abbildung links zeigt das Titelblatt unserer AEE-Friedenserklärung "Den Drachen an die Leine nehmen" von 2016.) Lesen dazu unseren Meinungsbeitrag!

 

 

 

Wer nimmt den Drachen an die Leine?

Oder: Warum erscheinen - aktuell - Demokratien so ohnmächtig, und warum spielt die Friedensbewegung keine Rolle mehr?

 

Gerade dieser Krieg bringt uns die Erkenntis vom Bösen: Alles Reden, Verhandeln, Taktieren umsonst? Internationale Krisendiplomatie, OSZE, Normandieformat, Minsker Abkommen gescheitert? Warum erscheinen Demokratien (die wir so gerne als "resilient und wehrhaftig" darstellen)  in der Krise vor dem Krieg als hilflos, während Autokratien schnell entscheiden und schlimme Fakten schaffen? - Und warum sind erst recht ohnmächtig und überhaupt nicht mehr gefragt überstaatliche Organisationen wie UNO und EU?

Ukraine, Ost-West-Konflikt: Die Welt, im dritten Jahrtausend, fällt mindestens in die Zeit vor der Wende 1990, wenn nicht gar ins 19te Jahrhundert zurück. Kriege werden vorbereitet, Machtansprüche militärisch durchgesetzt. Diplomatie wird offensichtlich zu dem Zweck missbraucht, das, was dann mit Gewalt passiert, vorher irgendwie zu bereden, zu verklausulieren, propagandistisch zu verzerren, ja womöglich zu legitimieren.

Man fragt sich, warum alles weltweite Nachdenken über den Frieden, das spätestens seit dem 2. Weltkrieg (1948 Gründungsversammlung des ÖRK: "Krieg darf noch Gottes Willen nicht sein") eingesetzt hat, so folgen- und wirkungslos ist? Dieser Krieg kommt, als ob es eine Friedensbewegung nie gegeben hat. Im Bonner Hofgarten 1981 zum Beispiel, auf den Kirchentagen, zu den Ostermärschen. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten, heisst es in der EKD-Denkschrift 2007. Wir müssen Sicherheit neu denken, steht im AEE-Friedenspapier mit dem bezeichnenden Titel „Den Drachen an die Leine nehmen“.

Es ist, Ukraine und den aktuellen Ost-West-Konflikt betreffend, ein Desaster, dass sich das alles nicht, auch nicht annähernd durchgesetzt hat. Statt den Frieden neu zu denken heißt es, wie zur Römerzeit: „Para bellum“, bereite den Krieg vor. Vor ein paar Tagen noch, kurz vor dem Einmarsch, hatte eine Margot Käßmann einen friedensbewegten, aber wohl von aller entscheidenden Welt überhörten Anlauf genommen: Könnten nicht gerade die Kirchen zwischen Russland und Ukraine vermitteln? Frieden stiften, Feinde lieben? Ist das ein zu frommer Wunsch? Die Welt ist davon leider verdammt weit entfernt.

Lutz Taubert