Oder: Frieren für Kiew
Was wir für den Frieden und zugleich dem Klimaschutz tun können / Von Gerhard Monninger
Der Krieg in der Ukraine verursacht Tod, Leid, Zerstörung, bedroht die europäische und weltweite Sicherheitsordnung. Und hat massive Auswirkungen auf unsere Energieversorgung und auf den internationalen Klimaschutz: Das Mit- und Nebeneinander von Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung drängt sich angesichts des akzuellen Konflikts auf, ohne dass wir gleich mit einem Kirchenpapier oder Synodenwort zum konziliaren Prozess darauf reagieren müssen. Unser Autor verbindet die beiden Themen Krieg (und Frieden) und Klimaschutz (Bewahrung der Schöpfung) in einer ganz persönlichen und doch allgemeingültigen Lesart:
Pazifisten tun sich schwer in diesen Wochen. Entweder sie verstummen angesichts der Gräuel in Putins Krieg gegen die Ukraine und lassen die Peace-Fahnen zuhause im Schranke liegen, oder sie schwenken um, wie es augenblicklich überall in Deutschland zu beobachten ist: Waffenlieferungen in das Krisengebiet Ukraine – ja, unverzüglich! 200 Milliarden für die Bundeswehr? – Hätte man schon längst machen sollen! Was der klassische Pazifismus verlangt, Reden statt Schießen, also Diplomatie, ist ja in der Tat gescheitert. Sich auf dem militärischen Schlachtfeld ergeben und danach gewaltlosen Widerstand leisten – will das jemand den Ukrainern empfehlen?
Vielleicht gibt es wirklich im Augenblick keinen anderen Weg, als den vom Parlament und der Regierung eingeschlagenen Kurs. Ich bin und war auch vor dem 24. Februar kein „lupenreiner“ Pazifist, aber jetzt stört mich der kriegerische Tonfall, der mehr und mehr aufkommt, doch gewaltig. „Heldenhaft“ ist der militärische Widerstand der ukrainischen Soldaten. Ja, vielleicht stimmt das sogar, aber wollten wir Heldentum nicht eigentlich woanders suchen? Gibt es keine Helden der Gewaltlosigkeit mehr, keine Helden des Alltags? Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus trifft den richtigen Ton, wenn sie das ethische Dilemma benennt, in das Christen in Mitteleuropa angesichts des russischen Angriffskriegs geraten. „Wir können keine weiße Weste behalten“, lautet ihr Fazit. Das Prinzip muss doch weiter gelten: Waffen schaffen keinen Frieden! Aber Wehrlosigkeit hätte für die Menschen in der Ukraine vielleicht verheerendere Folgen als der militärische Kampf: Zum Verlust an Leib und Leben kämen der Verlust der Freiheit, der Menschenrechte, der nationalen Identität. Was bliebe, wären ein dauerhaftes Leben in einer Diktatur und dauerhafte Armut.
Liebe Pazifisten, schwört nicht Euren Idealen ab, aber duldet vorübergehend die militärische Unterstützung des Kampfes als eine schwer zu ertragende, aber alternativlose Ausnahme von der Regel. Und seid wachsam, wenn es darum geht, das Ende dieser Ausnahme zu markieren. Passt auf, dass wir nicht unversehens in eine neue Wertschätzung des Militärischen hineinrutschen.
Von den Sanktionen war noch gar keine Rede. Sie sind ja ein Mittel, das Pazifisten gefallen kann. Sanktionen kann man als „gewaltfreie Aktion“ verstehen, wie sie ein wehrhafter Pazifismus seit Mahatma Gandhi praktiziert. Gewaltloser Widerstand bedeutet nicht Nichtstun. Er bedeutet, die enorme Kraftanstrengung zu unternehmen, die nötig ist, um Bewegung in einen festgefahrenen militärischen Konflikt zu bringen.
Darauf kommt es aber jetzt an, auf die enorme Kraftanstrengung: Die bisher durch den Westen verhängten Sanktionen sind nicht ohne, aber Gas, Öl und Kohle werden bisher nicht angetastet. 55 Prozent unseres Energiebedarfs in Form von Gas beziehen wir aus Russland und finanzieren mit den Milliarden, die wir dafür überweisen, Putins Krieg. Wenn wir davon unabhängig werden könnten, wäre das eine enorme Schwächung der russischen Militärmaschinerie. Unser grüner Wirtschaftsminister Habeck traut der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft nicht zu, hier kurzfristig zu einem Ergebnis zu kommen. Andere Experten halten es für möglich, aber es würde „enorme Anstrengungen“ kosten.
Welche Anstrengungen?
Fangen wir mit der Heizung unserer Wohnung an. Im europäischen Durchschnitt wollen wir es zuhause 22 Grad warm haben. Wenn die Temperatur nur um ein Grad Celsius gesenkt wird, spart man schon 6 Prozent Energie. Und gehen vielleicht auch 20 oder 19 Grad? Die Empfehlung, dann eben einen dickeren Pullover anzuziehen, nannte die Fraktionsvorsitzende Linken im Bundes, Amira Mohamed Ali, zynisch. Die alleinerziehende Mutter friere jetzt schon, Einsparungen seien da nicht drin. Nein, auch den Empfängern von Arbeitslosengeld II darf man eine Anstrengung zumuten, ohnehin hat sich die Ampel-Koalition auf eine deutliche Steigerung des Heizkostenzuschusses auf jährlich 270 Euro verständigt. Oft genügt auch eine fachliche Beratung, um die Sparpotenziale zu entdecken. Gibt es eine Nachtabsenkung? Wird richtig gelüftet? Die Liste von Einsparmöglichkeiten ließe sich ewig lang fortsetzen.
Es geht um Energiereduzierung an alle Ecken und Enden. Sehr ergiebig ist der Verkehr. Sofort wirksam wäre ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen (100 km/h) und Bundesstraßen (80 km/h), 2,4 Millionen Tonnen Diesel und Benzin könnten eingespart werden, was einem Anteil fast fünf Prozent am jährlichen Kraftstoffabsatz entspräche.
Muss man überhaupt Autofahren? Strecken bis 5 km lassen sich gut und gern (in der Stadt oft auch schneller) mit dem Fahrrad zurücklegen, mit dem Elektrofahrrad auch Strecken bis 10 km.
Ich kann auf das Auto nicht verzichten, höre ich sofort von Pendlern. Das kommt mir zu schnell. Es bedeutet vielleicht eine kleine Anstrengung, nach Mitbetroffenen zu suchen und eine Fahrgemeinschaft zu bilden. Oft habe ich festgestellt, dass sich Berufspendler nicht wirklich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auskennen. Da muss man manchmal kreativ sein. Vielleicht kommt man an den Arbeitsplatz auch durch eine Kombination von Fahrrad und U-Bahn/S-Bahn/Bus/Tram.
Homeoffice beibehalten! Auf dem Höhepunkt der Pandemie waren die Straßen auch während der Rushhour nur halb so stark befahren wie zuvor.
Wie schaut es mit Stromsparen aus? Der Strom kommt ja oft auch aus Gaskraftwerken. Besonders viel Strom verbrauchen wir bei Kommunikation und Unterhaltung – durchschnittlich fast ein Drittel des Stromverbrauchs in einem Haushalt. Hierunter fallen Fernseher, Computer, Spielekonsolen und alles was dazu gehört. Hier lohnt es sich also besonders auf effiziente Geräte zu setzen. Es gibt aber auch andere typische Stromfresser im Haushalt. Hierzu zählen zum Beispiel sehr alte „weiße“ Haushaltsgeräte wie Waschmaschine oder Kühlschrank und Gefriergerät. Und gibt es etwa noch jemanden, der die Wäsche im Wäschetrockner statt auf dem Balkon, im Schlafzimmer oder im Garten trocknet? *
Bisher ging es um Einsparungen im privaten Sektor. Da kann schon viel erreicht werden, aber noch wichtiger sind die großen industriellen Verbraucher, beim Strom z.B. die chemische Industrie, beim Dieselkraftstoff etwa die Logistik-Branche. In diesen Bereichen ist schon immer genau gerechnet und in Energieeinsparung investiert worden. Aber wenn wir deutlich auf Putins Energie verzichten wollen, sind da Mehrkosten unvermeidlich. Die müssen und können ggf. auch die Verbraucher umgelegt werden. Wenn man dann die „enormen Anstrengungen“ im Ohr hat, muss man vielleicht nicht bei jeder Preissteigerung aufheulen.
Zum Sektor Energieeinsparungen muss eine „enorme Anstrengung“ beim Ausbau der erneuerbaren Energien kommen. Denn die erzeugen wir selbst und müssen sie nicht von Putin kaufen. Das kann ich jetzt etwas pauschal abhandeln, weil jedermann weiß, worum es hier geht: Um viele tausend neue Windräder, um Geothermie, um Photovoltaik, um Solarthermik, um Biogas, Meeresenergie und Wasserkraft. Wir brauchen alle. Was wo am besten passt, muss von Fall zu Fall entschieden werden.
Noch einmal: Es bedarf enormer Anstrengungen, um dies alles in die Tat umzusetzen. Aber es geht angesichts des Ukraine-Krieges um nichts weniger als das. Die Bereitschaft der Deutschen, Flüchtlinge willkommen zu heißen, sie aufzunehmen, Geld und Sachen zu spenden, ist groß. Trotzdem macht sich allenthalben das Unbehagen bereit, dass man eigentlich nichts machen könne gegen den Aggressor aus dem Kreml. Doch, wir können! Wenn wir ausnahmsweise Waffen in die Ukraine liefern, sollten wir ausnahmsweise auch bereit sein, spürbare Opfer zu bringen, was unseren Alltag zuhause und im Beruf angeht.
Und das Wunderbare daran ist: Es hilft auch in ganz großem Umfang gegen den Klimawandel.
Gerhard Monninger
* https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/strom-sparen/strom-sp…