Kirche systemrelevant?

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Ist Kirche, sind Pfarrer systemrelevant? Unser Autor Gerhard Monninger, selbst Pfarrer, hat auf diese ein bisschen provokant gemeinte Frage eine Antwort, die man von einem Theologen gerade nicht erwartet. Lesen Sie in unserem nächsten BuK-Magazin. Oder gleich hier:

Kirche und Pfarrer - systemrelevant?

Vielleicht ist das gar nicht wünschenswert / von Gerhard Monninger

„Die Kirche ist nicht systemrelevant. Heute nicht mehr, nicht in Deutschland, nicht in diesen Zeiten. Nichts bricht zusammen, wenn wochenlang die Kirchen und Gemeindehäuser geschlossen bleiben. Es brechen keine Tumulte aus, weil alle einsehen, dass man auf den Gottesdienstbesuch derzeit ebenso verzichten muss wie auf das Essen beim Lieblingsitaliener. Beides ist, das zeigt die gegenwärtige Situation, Luxus und nicht lebensnotwendig“ (Aus der ZEIT Nr. 16/2020).

Der Freiburger katholische Theologieprofessor Stephan Wahle sieht das ganz anders: „Gerade in Krisenzeiten hat das kirchliche Angebot in Form religiöser Zeremonien und Riten etwa Tröstendes. Deshalb sind Pfarrer ähnlich wichtig wie systemrelevante Berufe“, so Wahle (epd).

Was heißt das überhaupt: Systemrelevant?

„Systemrelevante Unternehmen oder Behörden erhalten die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems von Wirtschaft und Gesellschaft aufrecht und tragen damit zur die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen, teils lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen bei. Zu solchen Unternehmen und Behörden zählen: Energieversorgung, Informationstechnik und Tele-kommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen, Staat und Verwaltung sowie Medien und Kultur“ (Wikipedia).

Kirche und Pfarrer kommen in dieser Aufzählung nicht vor. Kultur schon, obwohl im gegenwärtigen Lockdown light Kino, Theater und Konzerte auf down gestellt sind. „Fromme“ Kreise in der evangelischen Kirche beklagten, die Kirchenleitungen hätten in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Staat Gottesdienste ohne Not abgesagt und damit das Wichtigste preisgegeben, was sie der Gesellschaft zu geben haben: Das Evangelium von der Liebe Gottes. Dieses sei in Wahrheit systemrelevant!

Was ist dran an dieser Argumentation?

  • Die Verkündigung des Evangelium wird nicht aufgegeben, wenn für eine begrenzte Zeit der Gottesdienst nicht stattfindet. Der Hunger nach dem Wort Gottes kann schon mal eine Pause überstehen. Außerdem hat sich die Gute Nachricht inzwischen massenhaft auf die digitalen Kanäle verlagert. Das ist kein neues, von Corona erzwungenes Phänomen. Bis jetzt galt schon, dass mit einer Morgenfeier im Bayerischen Rundfunk an einem Sonntag so viele Menschen erreicht werden, wie ein Pfarrer mit all seinen Predigten über ein ganzes Berufsleben hinweg.

Ob die Youtube-Gottesdienstfilmchen immer die Qualität haben, die die Zuschauer sonst gewohnt sind, sei dahingestellt. Es genügt natürlich nicht, den normalen Gottesdienst mit einer Handykamera abzufilmen. Wer digital viele Menschen erreichen möchte, muss sich an deren Sehgewohnheiten anpassen und das Medium verstehen, über das er kommuniziert. Aber im Augenblick lernen die die Akteure schnell dazu. Die Zahl der Klicks ist jedenfalls durchaus stattlich.

  • Die Verkündigung des Evangeliums darf, ja muss eine Weile ruhen, wenn man damit dem Leben und der Gesundheit anderer Menschen dient. Landesbischof Bedford-Strom hat recht, wenn er das einen Akt der Nächstenliebe nennt. Und er kann sich da bei auf Mk 3 // Lk 6 // Mt 12 berufen. Als Jesus dem Mann mit der verdorrten Hand begegnet,  zögert er nicht, das Sabbatgebot zu missachten und den Mann zu heilen. Damit ist die Frage beantwortet: Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zugrunde gehen zu lassen?
  • Mir ist sehr unwohl dabei, wenn man den Dienst des Pfarrers in Predigt, Gottesdienst und Seelsorge an seinem Nutzen für die Gesellschaft bemisst, auch wenn ich gar nicht leugne, dass es so einen Nutzen möglicherweise gibt. Aber man darf die Verkündigung des Evangeliums nicht einer Zweckrationalität unterwerfen. Das gilt vor allem für jene, die verkündigen, weil sie dadurch verführt werden, nützlich sein zu wollen, statt danach zu fragen, was die biblische Botschaft in der jeweiligen Situation sein könnte. Der Heilige Geist, „ohn‘ den all unser Tun umsonst“ ist, möchte vielleicht das Undenkbare, das Unerwartete, das Unerhörte hörbar machen.
  • Systemrelevant:  Zur Aufrechterhaltung welches Systems soll denn das kirchliche Angebot dienen? Soll es gar systemkonform sein? Es gibt doch auch jede Menge Systemfehler. Ist es richtig, dass in der Pandemie-Krise vor allem die Frauen die Lasten tragen, in den sogenannten Frauenberufen, den so unterbezahlten wie wichtigen Jobs in der Pflege, der Erziehung, an der Kasse, der Reinigung? Mama macht‘s schon – und andererseits ist ihr Arbeitsausfall in vielen Familien finanziell leichter verkraftbar, weil Mütter sehr viel häufiger als Väter in Teilzeit arbeiten. Die viele unbezahlte Arbeit, die sie täglich leisten, fällt bei diesen Rechnungen unter den Tisch. Und die Belastung durch die doppelte Arbeit verschärft sich nun umso mehr, da in dem fragilen System, in dem es einen Hauch von Vereinbarkeit von Familie und Beruf gab, alle Hilfen wegfallen.

Diesem System muss Kirche nicht dienen.

Ja, Kirche und Pfarrer sind nicht systemrelevant, aus theologischen, aus geistlichen Gründen. Das sollte sie mit Stolz erfüllen, und so sollte auch bleiben.