Wohlstand ade?

Oder: Wohlergehen für alle

Die Welt geht unter, und wir sorgen uns um unseren Wohlstand? Ein feuilletonistischer Beitrag über die Verlustängste in unserer Wohlstandsgesellschaft.

Von Lutz Taubert

 

Deutschland fürchtet um seinen Wohlstand. Kann man in der Zeitung lesen und in der Talkshow hören. Krieg und Krisen - das kommt bei uns an als: drohende Rezession, Inflation, Konjunktureinbruch, das BIP, Kennzahl unserer Wirtschaftskraft, wächst kaum mehr! Der Abbau globaler Wirtschaftsketten trifft den Exportweltmeister. Energie wird knapp. Das alles heißt für uns: Diesen unseren Wohlstand werden wir so nicht mehr halten können.

Stopp, innehalten, nachdenken, in sich hineinhorchen: Wer sind wir eigentlich, dass wir das Schlimme und Furchtbare, was auf dieser Welt geschieht, erst einmal durch die Brille der Ökonomie, des Profits, der persönlichen Betroffenheit unserer materiellen Güter und Möglichkeiten wahrnehmen?

Klimawandel, Pandemie, der Krieg in der Ukraine: Da geht´s doch um Sein oder Nichtsein. Wir aber reden übers mehr oder weniger Haben. Anderswo geht’s ums Überleben, bei uns aber sitzt die Angst vor der Inflation ganz tief. Anderswo geht´s darum, dass die Menschrechte Geltung behalten. Wir tun so, als ob in unserem Grundgesetz gleich neben den Menschenrechten auch noch das Recht auf Wohlstand festgeschrieben ist.

Hat uns das der gute alte Ludwig Erhard eingetrichtert, als er vor zwei Drittel Jahrhundert „Wohlstand für alle“ formulierte? Dieser Wohlstand war immerhin sozialmarktwirtschaftlich gemeint: Gut gehen solls nicht nur den wenigen Reichen, sondern einer breiten Mittelschicht. Und wenn wir uns heute um unseren Wohlstand sorgen, dann sollten wir zuallererst an eine gerechte Wohlstandsumverteilung denken. Zugunsten Geringverdiener, Alleinerziehender, Kinderreicher, Behinderter, Kranker. Von oben nach unten, durch Vermögens-, Einkommens-, Erbschaftssteuer.

Und wir sollten vor allem weg kommen von einem materiell verstandenen Wohlstandsbegriff. Wohlstand bedeute doch bitteschön nicht nur sicher und ohne Geldsorgen zu leben, sondern auch: in Frieden und Freiheit, gesund und zuversichtlich, und im Einklang mit einer zu bewahrenden Schöpfung zu leben (letzteres säkular ausgedrückt: ökologisch und nachhaltig).

Ja noch mehr: Ein modern verstandener „Wohlstand für alle“ im Sinne eines „Wohlergehens für alle“ (diese Uminterpretation ist eine Idee des Zukunftsforschers Opaschewski) läuft darauf hinaus, dass wir als Gemeinschaft wissen, was uns eigentlich zusammenhält. Eben nicht nur der materielle Wohlstand. Sondern auch: Solidarität? Verantwortung für unsere Mitmenschen, Verantwortung für die Welt, Verantwortung vor Gott?

Unseren Gedankenausflug zum Thema Wohlstand und Wohlergehen haben wir mit dem BIP (Bruttoinlandsprodukt) begonnen und wollen ihn mit dem BNG beenden. BNG heißt Bruttonationalglück, mit dem das Königreich Bhutan den Lebensstandard seiner Bürger definiert. Ganz im Sinne unseres altdeutschen Geburtstagskanons: „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei“.

Lutz Taubert