Die globale Erwärmung verschärft sich, die Treibhausgasemissionen nehmen zu
Und wenn wir es nicht schaffen?
Von Gerhard Monninger
Mojib Latif, der Ozeanograph und Klimaforscher am Helmholtzzentrum in Kiel , ist überzeugt: Wir haben es selbst in der Hand, die Klimaziele von Paris zu erreichen. Er sagt zwar, „die Menschheit steht dicht am Abgrund“, trotzdem blickt er optimistisch in die Zukunft. Diesen Optimismus bringen andere nicht mehr auf. Die Stimmen mehren sich, die daran zweifeln, dass der Klimawandel noch beherrschbar ist. Und was dann?
Wie wir damit umgehen, dass aus dem Klimawandel eine Klimakatastrophe werden kann mit all den Folgen, die inzwischen jeder Zeitungsleser kennt, diese Frage kann die Wissenschaft allein nicht beantworten. Auch die Politik nicht. Das ist jetzt auch die Stunde des Glaubens. Damit meine ich nicht jenen aus der Panik geborenen Optimismus - es wird schon gut gehen, weil es gut gehen muss - , es ist die Stunde eines Glaubens, der uns lehrt, dicht am Abgrund stehend wahrzunehmen, was ist und handlungsfähig zu bleiben. Neuerdings spricht man gerne von Resilienz, also von der Fähigkeit, an Widerständen und Krisen nicht zu zerbrechen, sondern sich als widerstandsfähig zu erweisen und zu überleben. Diese Resilienz kann aus dem Glauben wachsen.
Das ist eine steile Behauptung. Aber schon immer haben Krisen und Katastrophen den Glauben stimuliert. Unsere christliche Tradition weiß darum schon von Anfang an. Mich beeindruckt z.B. der Diakonissenspruch Wilhelm Löhes, nicht nur wegen seiner sprachlichen Kraft:
„Komme ich um, so komme ich um, sprach Esther, die doch ihn nicht kannte, demzuliebe ich umkäme, und der mich nicht umkommen lässt“.
Das ist doch Resilienz in Reinkultur! Wie sich diese Resilienz konkret auswirkt und welche Früchte sie hervorbringt, davon muss noch die Rede sein. Zunächst soll noch Paulus zu Wort kommen mit dem berühmten Abschnitt aus Rö 8:
Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? ... In dem allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat. Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm HERRN.
Ich mache den vielleicht waghalsigen, aber erlaubten Versuch, diesen wunderbaren Hymnus zu paraphrasieren und ihn direkt auf unsere Fragen antworten zu lassen:
Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Überschwemmungen oder Dürre oder Flüchtlingselend oder der Anstieg des Meerespiegels?
In dem allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat. Ja, ich bin gewiss, dass weder Tod nochLeben, weder Artensterben noch Wüstenbildung, weder die Ver-stocktheit und die Verblen-dung der Menschen, noch die Menschenverachtung der Machthaber, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm HERRN.
Haben wir uns jetzt aus der Misere des Globus am Anfang des 21. Jahrhunderts herauskatapultiert mit einem frommen Salto rückwärts?
Darf man Engel, Fürstentümer und Gewalten einfach durch das Vokabular der ökologischen Krise ersetzen? Ich bin sicher, man darf. Hier wird ein fester Grund unter unsere Füße gelegt, auf dem man stehen und sich engagieren kann. Damit beuge ich auch schon einem möglichen Einwand vor, nämlich: Diese fromme Wende läuft doch darauf hinaus, dass man in die Hände in den Schoß legt und selig lächelnd das Reich Gottes erwartet.
Nein, es geht darum, wie wir handlungsfähig bleiben und die richtigen Schritte unternehmen. Mit Dietrich Bonhoeffer unterscheide ich zwischen dem Letzten und dem Vorletzten. Die Mächte und Gewalten, also die vielfältigen Gefahren für unsere natürlichen Lebensgrundlagen gehören zum Vorletzten. Sie müssen uns, zugespitzt gesagt, erst einmal zweitrangig werden, damit erstklassig reagieren können.
Es gibt eine Reihe von Fallen, in die wir hineinzutappen drohen, wenn Angst und Panik über uns zusammenzuschlagen drohen.
Ich nenne zuerst den Alarmismus. Alarmismus ist mehr als Alarm schlagen. Es ist die Lust daran, andere das Gruseln zu lehren, indem man Daten und Fakten überzeichnet, Wahrscheinlichkeiten als gesicherte Erkenntnis ausgibt. Nein, der Jüngste Tag wird nicht hereinbrechen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel von Paris nicht erreichen.
Hinter dem Alarmismus steckt eine Art Selbsttherapie: Wenn ich es bin, der den Anderen Angst einjagt, wird meine Angst dadurch ein bisschen weniger. „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes“ bedeutet in diesem Zusammenhang: Wir wagen es, in den Abgrund zu schauen und entdecken neue Spielräume; nehmen Abschied von unerfüllbaren Zielen und wenden uns realen Möglichkeiten zu, um die Klimakatastrophe hinauszuzögern, abzumildern und mit den Folgen leben zu lernen - dass die Lage dann immer noch alarmierend bleibt, braucht nicht unterschlagen zu werden.
Die nächste Falle ist der Aktionismus: Aktionismus ist mehr als aktiv sein. Er verfährt nach dem Motto „Ich handle, also bin ich!“ und dann stellt sich die Frage nicht mehr so dringlich, ob es vernünftig ist, was ich tun. Hauptsache, es geschieht was, heißt die Devise. Das kann zu einer neuen Form der Werkgerechtigkeit werden. Das Erbarmen Gottes können wir uns aber nicht kaufen, nicht durch Tempo 120 auf der Auto- bahn, nicht durch vegetarische Ernäh- rung, nicht durch den Verzicht auf Flug- reisen. Aber umgekehrt gilt: Wer weiß, dass Gott uns Sündern gnädig ist, wer weiß, dass uns nichts scheiden kann von der Liebe Gottes, der ist frei, alle möglichen vernünftigen Schritte zu tun, auch einmal zu verzichten, auch sich gegen den Trend in der Gesellschaft zu stellen.
Die nächste Falle, der Moralismus: Er ist mehr als aus einer moralischen Orientierung handeln. Moralismus trägt eine weiße Weste spazieren und wertet die ab, die nicht in gleicher Weise und Intensität aktiv sind. Wie kann man heute noch bei Aldi und Lidl einkaufen? Bei solchen Leuten steckt doch nur der geile Geiz dahinter und die Illusion: Ich bin doch nicht blöd.
Der Moralismus kann in einer XL-Variante auftreten, das ist der Prophetismus. Da kommt die moralische Weisungen daher mit der Einleitung: So spricht der Herr. Das hat aber in der Regel nur die Folge, dass die Adressaten den Vogel zeigen und immer weniger geneigt sind, auch die vernünftigsten Appelle zu befolgen.
Es gibt noch mehr Fallen, in die wir hineintappen können. ich nenne noch die Depression und den Zynismus. Ich habe keine Kraft mehr, mich gegen die Entwicklung anzustemmen, sagt die Depression. Und: Ist mir doch egal, was in 50 Jahren passiert, da bin ich längst tot, sagt der Zynismus.
Die Resilienz, die der Glaube schenkt, kommt aus dem Indikativ: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Dann folgt erst der Imperativ: Du sollst! Wenn die Reihenfolge stimmt, dann können wir uns engagieren bis zur fröhlichen Erschöpfung. Wir können es auch erlauben, hier und da keinen Erfolg zu haben. Misserfolg und Scheitern bringen uns nicht um. Wenn wir auf die Nase gefallen sind, stehen wir getrost wieder auf und machen weiter.
Ich habe noch gar nicht von den Menschen gesprochen, die gar nicht beunruhigt sind über den Zustand der Welt. Die fröhlich konsumieren, begeistert von ihrem neuen Geländewagen erzählen und über den Klimawandel sagen: Das ist doch alles überhaupt nicht erwiesen, und außerdem: Die erfinden schon noch was. Eine große Zahl der Menschen in unseren Land wollen gar nicht genau wissen, was los ist; sie verordnen sich eine Art Anästhesie, um der großen Beunruhigung zu entgehen – da gilt genauso: Wer einstimmt in das „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes“ der kann es sich auch leisten, genau hinzuschauen und auf die Anästhesie zu verzichten.
Ja, wir haben noch eine Chance!
Gerhard Monninger